Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) hat ein Urteil gefällt in dem seit mehr als 20 Jahren währenden Streit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham. Es handelt sich um ein Urteil von faszinierender Ausgewogenheit und einer auf den ersten Blick nicht sofort erkennbaren Dramatik. Beide Streitparteien bekommen zunächst Recht und auch wieder nicht, und – das ist für alle Freunde komplizierter Urheberrechtsschutzdebatten das Schönste – die Kriterien, nach denen sie Recht bekommen oder auch nicht, sind so unscharf gefasst, dass für Medien- und Urheberrechtsanwälte auch in Zukunft noch eine Menge zu tun bleiben wird.

Die Frage war: Darf Moses Pelham ein zweisekündiges Sample aus einem Kraftwerk-Song (Metall auf Metall) für den Beat in einer eigenen Produktion (Nur mir von Sabrina Setlur) benutzen, ohne Kraftwerk zuvor um Erlaubnis zu fragen? Moses Pelham sagt: Ja, er als Angehöriger der Hip-Hop-Tradition darf jederzeit sampeln, denn zum Hip-Hop gehört die Traditionspflege dazu. Kraftwerk sind nicht dieser Ansicht; denn ihnen ist der Hip-Hop egal. Oder: ihr eigenes Bankkonto ist ihnen wichtiger, was sie wiederum mit vielen Hip-Hoppern verbindet. Jedenfalls beharren Kraftwerk darauf, dass die von ihnen aufgenommene Musik ausschließlich ihnen selbst gehört und Moses Pelham darum nichts anderes ist als ein Dieb.

Auf den ersten Blick bestätigt das EuGH die Auffassung von Kraftwerk. "Die Vervielfältigung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments, das einem Tonträger entnommen wurde, ist grundsätzlich eine teilweise Vervielfältigung dieses Tonträgers", die damit "unter das ausschließliche Recht das Tonträgerherstellers fällt." Das heißt: Es ist egal, ob ein Sample zwei Sekunden dauert oder auch zwanzig, der Urheber muss vorab um Erlaubnis gefragt werden und kann diese erteilen oder eben nicht.

Aber: das ist anders, wenn man an der entsprechenden Stelle im neuen Song gar nicht hört, dass es sich um ein Sample handelt. "Keine Vervielfältigung liegt jedoch vor, wenn ein Nutzer in Ausübung seiner Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in ein neues Werk einzufügen." Das heißt: Wenn man gar nicht hören kann, dass etwas geklaut wurde, dann handelt es sich dem Gerichtsurteil zufolge auch um keinen Diebstahl. Das könnte man zugunsten von Moses Pelham auslegen, denn dass in Nur mir irgendetwas gesampelt wird, ist tatsächlich nicht zu hören, wenn man nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird. Blöderweise nur hatte Pelham sich in den früheren Instanzen immer darauf herauszureden versucht, dass es sich bei seinem Sample um ein Zitat im Sinne des Hip-Hops handele. Das heißt, er hat zuvor schon präzise begründet, warum die Ausnahme, auf die er sich nun theoretisch berufen könnte, für ihn nicht gilt. Dumm gelaufen.

Von dem konkreten Fall abgesehen, kommt hier zwangsläufig eine Vielzahl interessanter Rechtsstreitigkeiten auf uns zu: Wer entscheidet mit welcher Begründung, wann ein Sample wiedererkennbar ist und wann nicht? Und für wen muss diese Wiedererkennbarkeit gegeben sein? Für jedermann und jederfrau? Für musikinteressierte Menschen? Für Experten, die auf einzelne Genres und musikalische Traditionslinien spezialisiert sind? Gibt es vor Gericht dann musikalische Blindverkostungen mit Probanden unterschiedlicher Qualifikation? Und nur wenn wirklich niemand bemerkt, dass da etwas gesampelt worden ist, fällt das Sample unter die Kunstfreiheit?